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Nachhaltigkeit

Einfach Bauen mit wenig Technik

31. Juli 2023 von Dr. Bernhard Frohn
aktualisiert am 
31. Juli 2023

Ist eine Kilowattstunde Energie viel oder wenig? Es gibt Themen, für die haben wir kaum ein Gefühl. Gut, wir könnten eine Kilowattstunde in Geld übersetzen, dann kostet sie 40 Cent. Also ist eine Kilowattstunde wirklich wenig. Wir könnten aber auch drei Stunden Tour de France schauen und sehen dort die austrainiertesten Sportler, die man sich so vorstellen kann, die in diesem Zeitraum auch in etwa eine Kilowattstunde mit ihrer Muskelkraft erzeugen. Ups, dann scheint eine Kilowattstunde ja doch ganz schön viel Energie zu sein, zumal wir Normalos dann wohl eher zehn Stunden benötigen würden, um eine Kilowattstunde zu erzeugen, sofern wir dies an einem Stück überhaupt durchhalten würden.

Ja, eine Kilowattstunde ist sehr, sehr viel Energie. Wir haben mit der Erfindung der Dampfmaschine und später der zentralen Kraftwerke, die uns den Strom direkt in die Steckdose liefern, den Bezug zur Energie (Kilowattstunde) oder zur Leistung (beim PKW früher PS oder heute Kilowatt) allerdings vollkommen verloren. Denn diese industriellen Techniken nutzen Kohle oder Erdöl als Energieträger und diese beiden über Jahrmillionen entstandenen Ressourcen haben eine extrem hohe Energiedichte. Ein Fingerhut Erdöl bewegt einen PKW.

Und so ist es auch kein Wunder, dass wir mit der Erfindung der Zentralheizung oder der Klimaanlage in Immobilien mit Powertechnik einfach auf die bauphysikalischen Gegebenheiten reagieren, ohne an Optimierung zu denken. Technik ist daher in Immobilien immer zu groß, das kann ich schon voraussagen. Optimierung war nicht notwendig. Bisher!

Wie schaffen wir es jetzt, Energie zu sparen, Baukosten zu reduzieren und vielleicht auch wieder einfacher zu werden? Es hilft ein Blick über den Tellerrand.

Wie bauen Naturvölker?

Naturvölker verfügen nicht über unsere technischen Möglichkeiten und haben daher keinen Zugang zu den Energieträgern mit großer Energiedichte. Daher haben sie sich stärker mit den Gegebenheiten der Natur auseinandergesetzt und haben Lösungen gefunden. Naturvölker in Afrika bauen Lehmhütten, da Lehm ein guter Feuchtespeicher und thermischer Speicher ist. Überhitzungen werden so reduziert. Inuit bauen Iglus, da deren Verhältnis von Außenfläche zu Volumen optimal ist, so dass möglichst wenig Energie verloren geht. Usw.

Wer also lernt, wie die Natur tickt, der kann Gebäude so planen, dass auf natürlichem Weg gekühlt oder geheizt wird. Beispiele für natürliche Klimatisierungstechniken sind:

  • Passivhausdesign: Gebäude werden so gestaltet, dass sie die Sonnenenergie im Winter einfangen und im Sommer abschirmen. Dadurch wird der Heiz- und Kühlbedarf reduziert.
  • Natürliche Belüftung: Durch die strategische Platzierung von Fenstern, Türen und Lüftungsöffnungen kann die Luftzirkulation gefördert werden, um frische Luft in den Innenraum zu bringen und heiße Luft abzuführen.
  • Sonnenschutz: Durch den Einsatz von Jalousien, Vorhängen oder Markisen kann die direkte Sonneneinstrahlung reduziert werden, um Überhitzung zu vermeiden.
  • Tageslicht: Durch den Einsatz von tageslichtlenkenden Jalousien wird Tageslicht tief in den Raum reflektiert, so dass gerade bei Bürogebäuden Kunstlicht gespart werden kann.
  • Speichermasse: Durch die Nutzung der thermischen Speichermasse von Beton, Stein oder Holz werden plötzliche Lastwechsel (Sonne scheint, viele Personen betreten einen Raum …) kompensiert und müssen nicht durch große Anlagentechnik (Klimaanlagen) zum Beispiel im Sommer weggekühlt werden. Dazu dürfen Decken nicht abgehängt werden und auch ein Doppelboden ist nachteilig. Allein ein Doppelboden zum Beispiel erhöht nach unseren eigenen Berechnungen den Nutzenergiebedarf über das Jahr gesehen um 20 %.
  • Erdwärme: Durch die Nutzung der natürlichen Konstanz der Bodentemperatur kann Wärme im Winter und Kühle im Sommer aus dem Boden gezogen werden, um das Gebäude zu beheizen oder zu kühlen.
  • Strahlungswärme: Die alten Römer wussten schon, dass Strahlung zur Temperierung von Menschen sehr behaglich ist. Daher setzten sie Hypokaustensysteme ein. Erst in unserer Zeit wurden dann Heizkörper oder Klimaanlagen erfunden, die den für Menschen falschen Weg der Erwärmung oder Kühlung nutzen.
  • Gründächer: Durch die Bepflanzung von Dächern kann die Wärmeabsorption reduziert werden, was zu einer natürlichen Kühlung des Gebäudes führt.

Das alles sind Beispiele der Nutzung natürlicher Klimatisierung, es gibt noch deutlich mehr. Diese Maßnahmen sind kostenlos und natürlich emittieren sie auch kein Kohlendioxid.

Das richtige Maß finden

Die Außenhaut einer Immobilie stellt eine ganzjährige Membrane dar, die Licht, Luft, Kühle oder Wärme in unser Gebäude lässt oder auch nicht. Die Kunst ist, das richtige Maß zu finden. Eine maximale Wärmedämmung zum Beispiel reduziert zwar den Heizenergiebedarf im Winter, verhindert aber das Auskühlen der Immobilie in Frühjahr oder Herbst. Frühjahr und Herbst machen in unseren Breitengraden die Hälfte des Jahres aus und gerade in diesen Jahreszeiten gibt es die meisten Fehlfunktionen, da das Außenklima tagsüber und nachts sehr unterschiedlich ist. So manche Regelung auch in angeblich smarten Gebäuden beginnt dann nachts zu heizen, obwohl tagsüber die Sonne scheint. In der Folge wird die Heizenergie der Nacht am Tag durch Kühlung der Anlagentechnik wieder vernichtet. Das ist doppelte Energieverschwendung. Maximale Wärmedämmung für den Winter oder eine Vollverglasung, um möglichst viel Tageslicht einzufangen, sind also garantiert immer die falschen Lösungen. Es müssen ausgewogene Teilsysteme, die dann auch wieder ausgewogen im Gesamtsystem funktionieren, gefunden werden. Aber wie?

Gebäudesimulation sinnvoll eingesetzt

Die rechnergestützte Gebäudesimulation ist das Tool, mit dem diese Optimierung gelingt. Auf Basis von stündlichen Wetterdaten für den Standort und den Gebäudeparametern wird eine Ganzjahressimulation durchgeführt. So und nur so kann jetzt anhand von Leistungs- und Energiedaten überprüft werden, ob das richtige Maß an thermischer Speichermasse, Glasanteil, Wärmedämmung etc. gefunden wurde. Dies ist eine der wichtigsten Aufgaben für Neubau oder Sanierung von Immobilien, da die oben genannten Eigenschaften fest verbaut sind. Den Glasanteil, die thermische Speichermasse oder die Wärmedämmung sind mindestens für 40 Jahre festgelegt. Fehler wirken also 40 Jahre lang. Und es wundert mich, wie oft ich auch im Jahr 2023 noch Neubauten sehe, bei denen ich ohne weitere Kenntnis der Details sehe, dass keine Optimierung stattgefunden hat. Solche Basisfehler werden auch durch „Smarte Funktionen“ nicht behoben, sondern bestenfalls so kompensiert. Die Fehler werden dann erst anhand der ersten Nebenkostenabrechnung für den Mieter sichtbar. Dann ist es aber zu spät.

Es wäre daher an der Zeit, dass wir neben den endlosen Diskussionen über Wärmepumpe und andere Heizsysteme auch über die Bauphysik sprechen, denn wir benötigen ein Gesamtsystem. Technik allein kann es nicht richten.

Gewappnet für den Klimawandel

Als Wetterdaten für die Simulation lassen sich übrigens auch Daten einkaufen, die den Klimawandel, also die Erwärmung des Außenklimas, als Schätzung enthalten. So kann und sollte überprüft werden, ob die Immobilie auch in 30 Jahren noch funktioniert.

Wenn man diese Methode konsequent anwendet, was natürlich Aufwand und Know-how benötigt, entstehen Immobilien mit extrem kleiner Technik und mit extrem geringem Energiebedarf. Unser Serienprodukt BOB zum Beispiel benötigt im Winter bei Minusgraden ca. 10 Kilowatt elektrische Leistung für 5.000 m² Bürofläche. Mit derselben elektrischen Leistung, mit der ein Elektroauto an der Wallbox zu Hause geladen wird, werden also 250 Menschen in einem BOB behaglich erwärmt.

Kleine Technik ist insofern unschlagbar, da sie keine Nachteile hat. Die Investitions-, die Energie-, die Wartungs- und die Instandsetzungskosten sinken. Auch der Ressourcenbedarf für die Anlagentechnik ist geringer. Und da durch die Gebäudesimulation die Immobilie schon vor Inbetriebnahme auf Herz und Nieren geprüft ist, ist sie auch schnell einreguliert und deutlich resilienter. Es lohnt sich also auch für smarte Immobilien zunächst zu verstehen, was Naturvölker ohne die Powerenergie, die wir zur Verfügung haben, schon seit Jahrtausenden wissen.

BOB Gründer Dr. Bernhard Frohn, Vorstand

Über den Autor Dr. Bernhard Frohn

Schon früh beschäftigte sich Dr. Bernhard Frohn mit dem Unternehmersein. Nach dem Studium des Maschinenbaus an der RWTH Aachen promovierte er im Bereich Photovoltaik und machte sich sofort selbständig. Als Energieeffizienzberater für Bestandsimmobilien und Neubauten verdiente er das erste Geld. Durch den Bau des eigenen Bürogebäudes, dem Balanced Office Building in Aachen, lernte er die Faszination für Architektur aber auch die Komplexität bei dem Bau eines Bürogebäudes kennen. Denn hier spielen nicht nur Themen wie Technik, Gebäudeorganisation oder gar Bauabläufe eine Rolle. Es sind vor allem die Themen des Unternehmertums und der Gestaltung neuer Arbeitswelten, die für Bernhard Frohn aus einem scheinbar simplen Büro eine echte Herausforderung in einer digitalisierten Welt machen. Daher schreibt er auf diesem Blog über ein breites Spektrum an Themen und hat viel Freude daran, neue zu entdecken.