Wirtschaftlichkeit

Digitalisierung und Produktivität

21. März 2024 von Dr. Bernhard Frohn
aktualisiert am 
21. März 2024

Digitalisierung ist kein Show-Element. Digitalisierung ist kein Feigenblatt für Innovation. Digitalisierung ist deutlich mehr. Wie bei so vielen Themen, die neu sind, werden Begriffe schnell (durch das Marketing) adaptiert. Künstliche Intelligenz, ja das muss man machen. Kreislaufwirtschaft, ja natürlich auch. Und Digitalisierung sowieso.

Digitalisierung wird allerdings erst wirksam, wenn sie durchgängig konzipiert ist und hier gibt es gerade in der Immobilienbranche noch viel zu wenige Ansätze. Mit durchgängig meine ich nämlich die gesamte Wertschöpfungskette also Projektinitiierung, Projektentwicklung, Planung, Bau, Gebäudebetrieb und auch den Abriss. Mit dieser Aufzählung habe ich schon grundsätzlich verschiedene Disziplinen und Branchen genannt, die sich teilweise gar nicht verstehen. Teillösungen von Proptechs einzubauen, löst Teilprobleme, mehr nicht. Ich bin Fan der vielen Proptechs, wer aber glaubt, mit Teillösungen ein Gesamtsystem zu optimieren, der irrt gewaltig. Und so dient der Einbau von Produkten der Proptech-Firmen eben auch mehr dem Marketing als der tatsächlichen Optimierung von Immobilien. Die Produkte der Proptechs sind also sehr innovativ und beachtenswert. Es sind aber die Immobilienprojektentwickler und die Bestandshalter gefragt, Gesamtlösungen zu fördern und zu fordern und das ist nicht einfach. Wo sind denn die dazu notwendigen Systemintegratoren? Das Wort ist in der Branche noch nicht einmal bekannt.

Zurück in die Zukunft

Es ergibt oft einen Sinn, die Dinge vom gewünschten Ergebnis aus zu denken, um so zur Lösung zu gelangen und eben nicht umgekehrt. Machen wir es ganz extrem. Fangen wir beim Abriss an. Zugegeben, dass ist eine depressive Phase im Lebenszyklus einer Immobilie, mit der man sich eigentlich nicht beschäftigen möchte. Und doch werden uns in 100 Jahren die Menschen die Füße küssen, wenn wir daran gedacht haben, wie eine Immobilie in Ressourcen zerlegt werden kann, ohne sie einem Downcycling zu unterwerfen. Denn Downcycling führt letztendlich dazu, dass die Ressource auf Dauer verschwindet und nicht mehr nutzbar ist. Sollten wir noch 1.000 Jahre als Menschheit überleben wollen, werden wir Kreislaufwirtschaft lernen müssen. Schon Recycling ist viel zu schwach und nur eine kurze Verlängerung der Lebensdauer von Ressourcen. Nur 100 % Recyclingquote, also Kreislaufwirtschaft, dürfen unser Ziel sein.

Digitalisierung ist hier dringend notwendig. Eine Datenbank der Immobilie zum Beispiel als BIM-Modell (Building Information Modeling) bilanziert sämtliche verbauten Stoffe. Sind sie verklebt, sind sie trennbar, um welches Material handelt es sich? Wer nimmt die Ressource zurück, wer kann sie wieder in seinen Kreislauf zurücknehmen. Mit Abriss meine ich somit nicht nur den Gesamtabriss, es geht auch um die diversen Umbauten oder Sanierungen. Wer weiß noch in 15 Jahren, dass die Innenwandsysteme vom Hersteller zurückgenommen werden? Wer weiß noch, wo der Cradle to Cradle Teppich bezogen wurde und das er am Ende seines Lebens dorthin zurück geliefert werden soll. Eine Datenbank weiß so etwas und Software kann sich sogar freiwillig melden und mit Menschen oder mit anderer Software kommunizieren.

So weit so gut. Wer aber pflegt diese Datenbank im Gebäudebetrieb? BIM-Modelle werden häufig bis zum Baubeginn gepflegt und schon in der Bauphase wird das Modell nicht fortgeschrieben. As-Built-Modelle sind daher die Ausnahme. Und die Fortschreibung des BIM-Modells im Lebenszyklus entspricht aktuell der Wahrscheinlichkeit der menschlichen Besiedlung des Mars´. Es bedarf also vollkommen neuer Geschäftsmodelle, damit dieses Thema zum Leben erweckt wird.

Fangen wir vorne an

Wenn ich das Ergebnis kenne, ist es einfach, mein digitales Modell schon vorne mit den Prozessen und Eigenschaften zu befüllen, die später benötigt werden. Das digitale Ur-Modell einer Immobilie könnte also schon zu 90 % befüllt sein, ohne dass auch nur eine Wand oder ein Fenster gezeichnet ist. Es könnte schon im Ur-Modell geregelt sein, wie wir mit Sanierungen oder dem Abriss umgehen werden. Und natürlich können viele weitere Parameter des Gebäudebetriebs beschrieben sein, bei denen wir eben wissen, dass sie zu einem perfekten Ergebnis führen. Zugegeben das klingt abstrakt, aber es ist möglich, wie wir mit BOB zeigen.

Es geht bei BOB, als ein Beispiel für ein digitalisiertes Immobilienprodukt, nicht um Fertigbau, sondern es geht um ein digitales Modell, das Regeln und noch wichtiger Zusammenhänge zwischen den Regeln definiert. Geschieht das konsequent, kann dieser Regelraum flexibel auf Immobilien angewandt werden. Das heißt im Unterschied zum Fertigbau, dessen Ergebnis schon optisch immer wieder zu erkennen ist, bietet ein Regelraum Freiheitsgrade, über die vermeintlich verschiedene Ergebnisse mit aber immer denselben Ergebnissen erzeugt werden. Damit es nicht zu abstrakt wird, mache ich ein Beispiel aus der BOB-Welt. Energiebedarf, Energiekosten und Raumklima sind bei BOBs immer identisch, obwohl die Architektur immer anders aussieht. Wie kann das sein? Ganz einfach, die Architektur folgt bei BOB Regeln, die so austariert sind, dass sie zum Ergebnis führen, aber eben auch Freiheitsgrade haben. Gleichzeitig haben wir aber auch Freiheitsgrade gestrichen, die schlicht keinen Sinn ergeben.

Die unglaublichen Möglichkeiten der Digitalisierung von Immobilien

Digitalisierung bietet also die Möglichkeit, das Individuelle zu fördern, obwohl Digitalisierung aus Regeln besteht. Mit Künstlicher Intelligenz wird dieser Charakterzug der Digitalisierung noch deutlicher. Bei künstlicher Intelligenz werden die Regeln nicht hart programmiert, sondern sie werden aus bestehenden Daten abgeleitet. Das schafft Freiheitsgrade und eine Dynamik, die die Immobilienbranche nochmals deutlich verändern werden.

Unser erster BOB.Aachen, der gerade Teenager gemessen an seiner Lebenserwartung ist, kennt noch persönlich die Floppy Disk, die 3,5 Zoll Hard Disk, die SD-Speicherkarte, die CD, die DVD, den USB-Stick und jetzt hängt er an der Cloud. Bis er erwachsen ist und ins Rentenalter kommt, wird er also noch etliche Digitalisierungsschritte erleben. Wer sorgt jetzt für die Fortschreibung seines digitalen Modells? Genau niemand. Also auch hier benötigen wir neue Denkweisen und Geschäftsmodelle und ich möchte voraussagen, dass es sehr schlau wäre, wenn digitale Systeme die Überwachung der notwendigen Prozesse übernehmen werden.

Zusammenfassend werbe ich dafür, Gesamtsysteme zu entwickeln und Digitalisierung nicht als kleines Gimmick zu verstehen. Wenn es nämlich tatsächlich gelingt, den Gesamtprozess der Projektentwicklung und des Betriebs bis zum Abriss zu digitalisieren, ist eine Steigerung der Produktivität bei gleichzeitiger Qualitätssteigerung in der Immobilienbranche möglich, bei der auch Fertighaushersteller nicht mehr mitkommen werden.

BOB Gründer Dr. Bernhard Frohn, Vorstand

Über den Autor Dr. Bernhard Frohn

Schon früh beschäftigte sich Dr. Bernhard Frohn mit dem Unternehmersein. Nach dem Studium des Maschinenbaus an der RWTH Aachen promovierte er im Bereich Photovoltaik und machte sich sofort selbständig. Als Energieeffizienzberater für Bestandsimmobilien und Neubauten verdiente er das erste Geld. Durch den Bau des eigenen Bürogebäudes, dem Balanced Office Building in Aachen, lernte er die Faszination für Architektur aber auch die Komplexität bei dem Bau eines Bürogebäudes kennen. Denn hier spielen nicht nur Themen wie Technik, Gebäudeorganisation oder gar Bauabläufe eine Rolle. Es sind vor allem die Themen des Unternehmertums und der Gestaltung neuer Arbeitswelten, die für Bernhard Frohn aus einem scheinbar simplen Büro eine echte Herausforderung in einer digitalisierten Welt machen. Daher schreibt er auf diesem Blog über ein breites Spektrum an Themen und hat viel Freude daran, neue zu entdecken.