Eine Gruppe von Menschen, die um einen Laptop sitzen
New Work

Wie viel Büro benötigen wir noch?

19. Oktober 2021 von Dr. Bernhard Frohn
aktualisiert am 
19. Oktober 2021

Diese Frage ist uns während der Corona-Pandemie oft gestellt worden. Warum kommt diese Frage gerade jetzt auf und wie können wir sie mit Blick auf eineinhalb Jahre digitale Kommunikationserfahrung beantworten?

Die Corona-Pandemie ist ein Beschleuniger im Rahmen der sowieso schon dynamischsten Transformation, die eine Gesellschaft je erfahren hat. Dabei denke ich, dass die Pandemie uns Sachverhalte einfach nur sichtbarer macht. Das eigentliche Problem ist unsere menschliche, manchmal durchaus nützliche „Fähigkeit“ der Verdrängung. Aktuell merken wir schmerzhaft, was passiert, wenn alle Probleme auf einmal auf uns einprasseln. Die psychischen Erkrankungen nehmen sprunghaft zu. Verdrängung kann daher auch gesund sein.

Wahrnehmung und Wirklichkeit

Schlecht ist die Verdrängung, wenn dringend notwendige Veränderungen zu spät eingeleitet werden. Es gibt eine lange Liste von Fakten, die schon seit geraumer Zeit bekannt sind, die aber nur langsam in die Wahrnehmung der Gesellschaft vordringen. Hier sind einige Beispiele:

  • Seit vier Jahrzehnten ist allen Wissenschaftlern bekannt, dass der Klimawandel eine große Zerstörungswut hat und dass er durch Menschenhand gestoppt werden könnte. Gerade vor ein paar Tagen wurde der Physiknobelpreis an einen deutschen Klimaforscher vergeben, der 1979 nachwies, dass Menschen den Klimawandel beschleunigen.
  • Die Ressourcenengpässe wurden vorausgesagt, auch wenn die Voraussage teilweise grob falsch war. Insbesondere bei Erdöl und Erdgas waren die Szenarien zum Glück zu düster.
  • Seit zwei Jahrzehnten ist Experten klar, dass die Digitalisierung und dass der Einsatz von Robotern das Arbeitsleben maßgeblich verändern werden. Ganze Geschäftsmodelle und damit Unternehmen sind schon und werden noch wegfallen. Bei der Digitalkamera konnten wir diesen Prozess noch in Zeitlupe beobachten, demnächst wird dies rasanter ablaufen.
  • Auch die Einflüsse des demographischen Wandels sind seit Jahrzehnten vorausgesagt worden, da der Prozess der Veränderung sehr träge ist, so dass gut voraussagbar war, dass heute jeder zweite Arbeitnehmer älter als 50 Jahre alt ist.
  • Die Globalisierung mit ihrer weltweiten Warenproduktion zu sehr unterschiedlichen Bedingungen und den sehr günstigen Transportkosten gehört auch zu den unterschätzten Megatrends. Innerhalb weniger Jahre wurde zum Beispiel die vollständige Fotovoltaik Industrie in Deutschland und Europa einfach ausradiert. Wenige Jahre vorher haben wir diese Firmen noch gefeiert und plötzlich wurden dann 95 % der Weltproduktion nach China verlagert.

Man kann die Liste fortschreiben. Die Dynamik des Wandels, die wir jetzt aktuell erleben, hat also zwei Ursachen. Zum einen sind die genannten Megatrends selbst dynamisch und zum anderen haben wir sie ignoriert, da sie unterhalb der Wahrnehmungsschwelle wie ein Tarnbomber unseren Radar unterflogen haben. Jetzt nehmen wir diese Trends als beschleunigt wahr.

Der Einfluss der Corona Pandemie

Die Corona-Pandemie hat viele dieser Megatrends (wieder) in unseren Fokus gerückt:

  • Die Digitalisierung bekam einen großen Schub, da sich plötzlich alle mit der digitalen Kommunikation beschäftigen mussten. Dabei haben wir erlebt, dass der Arbeitsort nicht zwingend das Büro sein muss.
  • Als schon zu Beginn der Pandemie Schutzmasken, Beatmungsgeräte und andere Ressourcen fehlten, wurde deutlich, dass die Globalisierung auch gegen uns arbeitet. Jetzt, eineinhalb Jahre nach Beginn der Pandemie und dem Wiederanlaufen der Wirtschaft wird zudem sichtbar, dass die Kombination aus Globalisierung und Just-in-time Optimierung dazu führt, dass Holz, Stahl, Computerchips und andere Ressourcen schlicht fehlen. Einige Baukosten steigen aktuell zweistellig.
  • Dass sich der Klimawandel auch während der Pandemie stärker in unser Bewusstsein vorgedrängelt hat, habe ich nicht ganz verstanden. Ich vermute, dass die Tatsache, dass wir plötzlich vieles hinterfragen mussten, dazu führte, dass dieses Thema wieder an Bedeutung gewann. Die Unwetterkatastrophe im Juli 2021 hat dann allerdings ihr Übriges getan.

Dieser Ausnahmezustand der Pandemie hat also viele Probleme wieder brutal an die Oberfläche gespült. Daher ist es sehr sachlogisch, dass wir zu Hause im Homeoffice auch das Büro als Arbeitsort hinterfragt haben.

Benötigen wir also jetzt noch Büros?

Die Möglichkeit der digitalen Kommunikation zzgl. des Angebots der Datenhaltung für Arbeitsdateien in der Cloud macht das Homeoffice möglich. Und plötzlich stellt sich die berechtigte Frage, ob wir noch Büros benötigen. Die Antwort, das kann ich schon vorwegnehmen, ist ein eindeutiges Jein. Da Bürogebäude ziemlich mächtige, teure und langlebige Produkte sind, die zudem auch bei Bau oder Sanierung Ressourcen fressen, lohnen sich unserer Meinung nach eine differenzierte Betrachtung und Diskussion des Themas.

Fokussiertes Arbeiten

Das Homeoffice hat sich schon nach kurzer Zeit bewährt. Der Spagat zwischen privaten und beruflichen Aufgaben gelingt dadurch, dass man jederzeit und überall die Bürozelte aufschlagen kann, deutlich eleganter. Bei dieser Aussage gehe ich davon aus, dass Kinder im Kindergarten oder in der Schule sind, was nach der Pandemie ja wieder so sein sollte. Während der Pandemie war das Homeoffice nach meiner Wahrnehmung ein fauler Kompromiss, um eben nicht 7 Monate Urlaub am Stück anzumelden. Bei der Produktivität haben wir deutlich gespürt, wer zu Hause Kinder betreuen musste. Ich möchte aber das Thema lieber perspektivisch diskutieren. Daher sage ich, dass Homeoffice eine gute Alternative für fokussiertes Arbeiten ist.

Formelle Kommunikation

Neben dem fokussierten Arbeiten ist die formelle Kommunikation, bei der es eher um Information und um geregelte Abstimmung geht, auch im Homeoffice möglich. Die Medien, anhand derer wir uns abstimmen, sind heute alle digital verfügbar und können daher auch digital gezeigt werden. Zudem entsteht aktuell immer mehr Software, die speziell für die digitale Kollaboration gemacht ist, so dass sie zum Beispiel Pinnwand und Flipchart digital ersetzen.

Das Problem beginnt allerdings bei hybriden Sitzungen. Da nicht alle Kolleginnen und Kollegen eines Meetings parallel an demselben Tag im Homeoffice sind, werden Besprechungen aus anwesenden und digitalen Teilnehmenden gemischt, was aktuell noch sehr schlecht läuft. Dieses Problem ist durch eine geeignete Medientechnik vor allem hinsichtlich der Raumakustik und der Sprachverständlichkeit zwar lösbar, aber dies muss jetzt auch zügig erfolgen. Nicht selten sind die digital Teilnehmenden den Analogen akustisch unterlegen, da Menschen im Besprechungsraum nicht immer brav in Reihenfolge sprechen, wie wir es digital gelernt haben und dort auch tun müssen. Wer hebt schon in der analogen Arbeitswelt die Hand, um etwas zu sagen? Die Kommunikation wird also wirklich formell werden müssen. Spontane Einwürfe verbieten sich, was den Charakter von hybriden Treffen deutlich verändert. Hier gilt es zu beobachten, ob bessere Medientechnik das Problem wirklich löst. Bei der formellen Kommunikation gibt es also erste Fragezeichen zur Nutzbarkeit des Homeoffice.

Informelle Kommunikation und kreatives Arbeiten

Richtig problematisch wird es für das Homeoffice bei der informellen und spontanen Kommunikation und beim kreativen Arbeiten. Folgende Probleme sehe ich:

  • Will ich kurz etwas von einem Teammitglied wissen, dann ist ein Telefonat oder ein Videoanruf eine Störung für die fokussierte Arbeit. Anders ist dies in der Teeküche oder im Flur. Treffe ich hier jemanden, dann ist klar, dass ich mit meiner Frage nicht störe.
  • Da Informationen aber fließen müssen, haben wir uns den Terminkalender in den vergangenen Monaten mit Terminen zugeknallt. Während ein Gespräch in der Teeküche spontan beginnt und ebenso ungeplant nach 10 Minuten wieder endet, ist der Zeiteinsatz digital deutlich größer. Man verabredet sich um 11:00 Uhr für mindestens 30 Minuten und spätestens ab 10:55 Uhr kann man sich auf nichts anderes mehr konzentrieren, da man ja pünktlich sein will.
  • Videokonferenzen sprechen nur zwei Sinne an. Jedes Gespür für Situationen und Menschen muss bei einer Videokonferenz mit Hören und Sehen auskommen. Dabei haben Menschen mit ausgeprägter Körpersprache – vor allem sitzend und mit Headset – einen klaren Vorteil. Alle introvertierten Menschen gehören bei der Videokommunikation zu den Verlierern.

Wer es erlebt hat, kann mir vielleicht zustimmen: Socialising, Menscheln, spontan und kreativ sein, funktioniert digital nun wirklich nicht. Mal sehen, welche digitalen Wunderwerke wir in zehn Jahren besitzen, aber die aktuellen Instrumente sind für die informelle Kommunikation ungeeignet und rauben viel Zeit.

Fazit: Wir benötigen Büros, aber deutlich andere

Kommen wir zu meinem Fazit. Wer zukunftsweisende Geschäftsmodelle kreieren und leben will, benötigt

  • 30 % informelle Kommunikation und kreatives und interdisziplinäres Arbeiten,
  • 40 % formelle Kommunikation
  • und 30 % fokussiertes Arbeiten.

Gelingt es, die Abwicklungstätigkeiten im Büro durch Roboter und Software zu automatisieren, so verringert sich die Zeit des fokussierten Arbeitens weiter. Die angegebenen Prozentangaben sind nur grobe Schätzungen, entstammen keiner wissenschaftlichen Analyse und sie werden sich von Unternehmen zu Unternehmen stark unterscheiden.

Das Homeoffice ist eine Alternative für fokussiertes Arbeiten und teilweise auch für die formelle Kommunikation, wobei dann die rein digitale Form zu bevorzugen ist. Durch Homeoffice und Desksharing kann Bürofläche gespart werden. Wir vermuten, dass je nach Firmengröße und Geschäftsmodell 20 bis 30 % an Fläche locker eingespart werden können. Allerdings ist für das übrigbleibende Büro ein Multi-Space-Grundriss Pflicht, da dieser attraktive Arbeitswelten mit viel Variabilität und Kommunikation ermöglicht.

Die Büros, die wir zukünftig benötigen, sollen also eher die hybride formelle oder die spontane, kreative Kommunikation und Kollaboration unterstützen. Dazu sind kommunikationsfördernde Flächenmodule und dazu passende Medientechnik erforderlich. Büros der Zukunft entsprechen also eher der Qualität und der Innovationskraft eines Tesla als der eines Billigautos. Nur so wird die Tätigkeit unterstützt, für die das Büro der Zukunft gedacht ist. Da durch Homeoffice Fläche und Geld gespart werden kann, kann in Nachhaltigkeit, Digitalisierung, attraktive Architektur, Elektromobilität oder Services wie einen menschlichen Concierge investiert werden. So wird aus Homeoffice und Büro eine intelligente Kombination für den Spagat aus Privatleben und Produktivität.

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BOB Gründer Dr. Bernhard Frohn, Vorstand

Über den Autor Dr. Bernhard Frohn

Schon früh beschäftigte sich Dr. Bernhard Frohn mit dem Unternehmersein. Nach dem Studium des Maschinenbaus an der RWTH Aachen promovierte er im Bereich Photovoltaik und machte sich sofort selbständig. Als Energieeffizienzberater für Bestandsimmobilien und Neubauten verdiente er das erste Geld. Durch den Bau des eigenen Bürogebäudes, dem Balanced Office Building in Aachen, lernte er die Faszination für Architektur aber auch die Komplexität bei dem Bau eines Bürogebäudes kennen. Denn hier spielen nicht nur Themen wie Technik, Gebäudeorganisation oder gar Bauabläufe eine Rolle. Es sind vor allem die Themen des Unternehmertums und der Gestaltung neuer Arbeitswelten, die für Bernhard Frohn aus einem scheinbar simplen Büro eine echte Herausforderung in einer digitalisierten Welt machen. Daher schreibt er auf diesem Blog über ein breites Spektrum an Themen und hat viel Freude daran, neue zu entdecken.