Wirtschaftlichkeit

Serielles Bauen = Seriensystem

26. Februar 2025 von Dr. Bernhard Frohn
aktualisiert am 
26. Mai 2025

Im 1. Teil dieser Beitrag-Reihe habe ich dargestellt, dass es sich bei dem Thema Serielles Bauen um einen Megatrend handelt, der das Bauen und Sanieren nachhaltig verändern, wenn nicht sogar revolutionieren wird. Ich habe dazu auch die beiden Begriffe Modulares und Serielles Bauen unterschieden. Im 2. Teil werde ich erläutern, warum ich immer wieder von einem System oder von systemischem Bauen spreche. Sie werden später sehen, dass dieses Thema der Schlüssel für eine radikale Innovation in der Immobilienbranche darstellt.

Was ist ein System?

ChatGPT schreibt: „Ein System ist eine Gruppe oder Gesamtheit von miteinander verbundenen Teilen, die zusammenarbeiten oder sich gegenseitig beeinflussen, um gemeinsam etwas Bestimmtes zu leisten oder zu erreichen. Ein einfaches Beispiel ist ein Auto: Es besteht aus Motor, Rädern, Karosserie, Software und vielen weiteren Teilen, die nur dann funktionieren, wenn sie richtig zusammenspielen.“

Das ist schon einmal eine gute Definition. Zu erwähnen ist, dass ein System aus vielen Teilsystemen besteht. Und natürlich sprechen wir in der Immobilienbranche aus kaufmännischen, juristischen, prozessualen und baulich/technischen Systemen und deren Teilsystemen. Alle Systeme und Teilsysteme haben Schnittstellen und interagieren miteinander.

Wie wird ein System entwickelt?

Es geht also um die Kombination von Dienstleistungen, Hardware (Rohstoffe oder Bauprodukte) und Software zu einem funktionierenden Ganzen mit überlegenen Eigenschaften. Dabei beeinflussen sich die Einzelteile gegenseitig. Und das ist eines der Kernprobleme. Die gegenseitigen Abhängigkeiten sind komplex und immer wieder anders. Schon die Aussage, dass ein doppelt so großes Fenster, doppelt so viel Tageslicht in den Raum hineinlässt, ist falsch, da bei dem Beispiel wichtig ist, ob das Fenster quadratisch ist, ob es breiter als hoch oder höher als breit ist. Von diesen Zusammenhängen gibt es hunderte, die alle bei Immobilien zu beachten sind.

Die Industrie löst dieses Problem, indem sich Firmen auf ein Produkt fokussieren und dann sämtliche notwendigen Teile so kombinieren, dass sie harmonisch miteinander wirken. Der Prozess hin zu einer Systementwicklung ist dabei etwas aufwendiger. Das sind, verkürzt dargestellt, die notwendigen Schritte:

 

  1. Zunächst sind die Zieleigenschaften des Gesamtsystems zu definieren: Preis, Funktion, Haltbarkeit, Lebenszykluskosten, Nachhaltigkeit…
  2. Danach sind Anbieter für die Einzelteile (die Teilsysteme) und die einzelnen Dienstleistungen oder Software (auch das sind Teilsysteme) zu finden.
  3. Jetzt muss verstanden werden, wie die Teilsysteme zu einem Gesamtsystem zu kombinieren sind. Geht man davon aus, dass jedes Teilsystem eine Schnittstelle zu jedem anderen Teilsystemen hat, dann gibt es übrigens bei 100 Teilsystemen schon 4.950 Schnittstellen! Zum Glück haben nicht alle Teilsysteme bei Immobilien Schnittstellen zueinander, aber es gibt genügend!
  4. Bevor jetzt ein Prototyp für das Gesamtsystem gebaut wird, bietet sich heute die computerbasierte Analyse des zusammengesetzten Gesamtsystems an. Eine Simulation ist ein mathematisches Modell, das versucht, das zukünftige Verhalten vorauszusagen. Das funktioniert zu Beginn, wenn noch keine realen Daten existieren, noch richtig schlecht. Dennoch nähert man sich per Simulation der Lösung an. Was kann man simulieren? Eigentlich alles. Für Investitionskosten, Energiekosten, Nebenkosten oder das Raumklima lassen sich mathematische Modelle entwickeln. Die komplexesten Modelle sind dabei diejenigen für die Energiekosten und das Raumklima, denn hier handelt es sich um physikalisch sehr komplexe Modelle mit vielen nicht linearen Zusammenhängen, die sich nur durch viele rechnerische Iterationen ermitteln lassen. Ein Gebäude steht unter anderem in Wechselwirkung mit dem Umgebungsklima (wieder ein Teilsystem), was eben aufgrund der sich permanent ändernden Randbedingungen dynamische Iterationen notwendig macht. Excel funktioniert hier nicht mehr.
  5. Jetzt baut man einen Prototypen für das Gesamtsystem also für das Immobilienserienprodukt. Anhand des Prototypen sammelt man in der Praxis Messdaten und gleicht die gemessenen Eigenschaften mit dem Simulationsmodell ab. Für eine Immobilie bedeutet dies übrigens, dass Messdaten über Jahre gesammelt werden müssen, ehe man sein System wirklich verstanden hat. Das hängt damit zusammen, dass das Wetter und die Jahreszeiten eine entscheidende Rolle spielen und das Wetter ändert sich von Jahr zu Jahr sehr deutlich. Auch bei den Investitionskosten müssen Daten über einige Projekte gesammelt werden, da viele Einflussparameter nicht sauber dokumentiert sind. In einer Branche, die gewohnt ist, Unikate zu bauen, gibt es kein systemisches Verständnis zu Investitionskosten, sondern es wird einfach geplant, kalkuliert, dann geändert und neu kalkuliert. Das ist allerdings ein sehr aufwendiger Prozess.
  6. Erst jetzt, nachdem Daten aus der Realität gewonnen wurden, wird die Simulation so gut, dass viele Risiken zukünftiger Immobilienprodukte (Gesamtsystem) genommen werden. Kostenrisiken, Betreiberrisiken und Funktionsrisiken lassen sich plötzlich vorausberechnen. Und das ist dann so souverän, dass gigantisch Geld gespart werden kann. Das ist der Grund, warum Crash-Tests bei einem PKW heute zunächst im Computer stattfinden. Da Immobilien ein Vielfaches teurer sind, ist das Sparpotential hier noch deutlich größer.
  7. Das Gesamtsystem wird jetzt in iterativen Schleifen weiterentwickelt. Simulationen und weitere Prototypen werden gebaut, vermessen und irgendwann entsteht so ein Seriensystem mit Eigenschaften, die der Perfektion recht nahe kommen. Das wir bei Immobilien hier über einen Zeitraum von mindestens 5 Jahren sprechen, sollte deutlich geworden sein.
  8. Existiert das Simulationsmodell lassen sich Stresstests durchführen, so dass man die Resilienz des Systems prüfen kann. Auch diese Aussage gilt für kaufmännische, juristische, prozessuale und bauliche Themen.

Und was bringt das?

Was für ein Aufwand? Macht das wirklich Sinn? Sollen wir nicht doch lieber Immobilien wie bisher als Unikate entwickeln und bauen? Ich glaube für diese Zweifel gibt es kein überzeugenderes Argument als die Investitionskosten. Daher zeige ich Ihnen nachfolgend einen Vergleich der Investitionskosten unseres klimaneutralen und ESG-konformen BOB-Seriensystems zu dem Baukostenindex aus 2024. Der Baukostenindex wurde für die Gruppe „hoher Standard“ aus den realen Daten vieler gebauter und abgerechneter Bürogebäude gebildet. Der hohe Baustandard ist über hochwertige Fassaden (z.B. Naturstein bei dem BOB.Ludwigshafen oder Klinker bei dem BOB.Hannover), einen hochwertigen Innenausbau mit viel Glas und über vorhandene Heizungs-, Kühlungs-, Lüftungs-, Beleuchtungs- und Automatisierungstechnik definiert. Der BOB.Ludwigshafen wurde schon 2020 fertiggestellt, daher haben wir für das Projekt die in den letzten Jahren dynamisch angestiegenen Baukosten über die Steigerungsraten hochgerechnet. Was also bringt ein Seriensystem im Vergleich zu Unikaten?

 

Artikelinhalte

Vergleich Baukosten von BOBs zum Baukostenindex (BKI 2024)

Die Baukosten setzen sich aus der Baukonstruktion (Kostengruppe 300 nach DIN 276) und den Technischen Anlagen (Kostengruppe 400 nach DIN 276) zusammen. Der Mittelwert des BKI liegt absolut ca. 35 % über einem BOB. Ich bitte um Verständnis, dass ich hier keine Beträge in Euro darstellen kann, die oben genannten BOBs sind teilweise bereits verkauft. Auf Nachfrage kann ich Ihnen aber gerne die Kosten eines BOBs für Neubauvorhaben oder Sanierungen nennen.

Das Seriensystem tut also das, was es soll, es spart Investitionskosten, und zwar erheblich. Relativ zu einem BOB sind die Baukosten eines konventionellen Bürogebäudes 50 % höher. Und das nicht nur ohne Qualitätsverlust, sondern im Gegenteil zu einer deutlich höheren Qualität. Oder kennen Sie Gebäude, für die der Aufwand, der oben zur Systementwicklung beschrieben ist, ernsthaft durchgeführt wurde?

Die Optimierung, die für die Investitionskosten offensichtlich möglich ist, ist auch bei anderen Qualitäten teilweise noch drastischer möglich. Unser BOB.Aachen Baujahr 2002 hat einen Heizenergiebedarf (Endenergie) von 8,3 kWh/m²a. Im Rahmen unseres Geschäftsmodells Sanierung begehen wir gerade Bürogebäude aus den Baujahren Anfang der 2000er Jahre mit Heizenergiebedarfen von 160 kWh/m²a. Das ist eine Abweichung von 1.900 %.

Gerade die Technische Gebäudeausrüstung (blauer Balken), die in unserer Branche immer als die große Unbekannte gilt, ist bei einem Seriensystem wie BOB quasi konstant. Die Technische Gebäudeausrüstung ist ein sehr komplexes Teilsystem, das aus vielen weiteren komplexen technischen Teilsystemen besteht, die alle munter mit den Gebäudeeigenschaften und dem Nutzer nicht linear interagieren. Daher ist es kein Wunder, dass gerade dieses Teilgewerk normalerweise die große Unbekannte darstellt.

Wer jetzt noch weiter Unikate baut, der scheint es sich leisten zu können ;-). Neben der absoluten Größe der Baukosten ist auch die Konstanz und damit die Vorhersagbarkeit der Baukosten für jede Bank und jeden Projektentwickler ein Traum. Sie sehen in dem Diagramm, wie gering die Kostenabweichung der einzelnen BOBs zueinander ist, wobei Kubatur und Größe stark variieren.

Und es gibt noch ein gewaltiges Argument für ein Seriensystem: die Geschwindigkeit des Lernens.

Analogie zu Sprachmodellen und zur Künstlichen Intelligenz

Da wir alle gerade viel über Künstliche Intelligenz und Large Language Modelle wie ChatGPT lesen, sei hier die Parallele gezogen. Auch das System Immobilie lernt durch Daten (kaufmännisch, technisch, prozessual). Und umso mehr Daten von Immobilien desselben Typs (das ist wichtig) vorliegen, desto schneller lernt Ihr System. Vernetzt man diese Immobilien desselben Typs sogar miteinander, dann ist ein selbstlernendes System in Echtzeit möglich. Ich komme auf dieses Thema in einem weiteren Newsletter zurück. Das Selbstlernen aus gemessenen und/oder synthetischen (Simulation) Daten beschleunigt den Lernerfolg. Das gilt für die KI wie für ein Seriensystem einer Immobilie gleichermaßen. Die Dynamik der Lernerfolge, die Sie aktuell bei der Künstlichen Intelligenz beobachten, lässt sich also auf ein Serienprodukt für Immobilien übertragen, wobei natürlich der relative Vergleich der Geschwindigkeiten damit gemeint ist.

Fazit

Das Fazit:

 

  • Nur Luxusgüter werden in kleinen Stückzahlen quasi als Unikat erstellt. Luxusgüter haben aber ihren Preis.
  • Alle anderen Produkte, die wir konsumieren, entstehen aus Seriensystemen.
  • Ein System ist mehr als die Summe seiner Teile. Das ist so, da ein System die gegenseitigen Abhängigkeiten der Teile berücksichtigen muss. Das ist also nicht nur ein netter Spruch von Aristoteles, sondern das ist anerkannte Systemtheorie.
  • Ein System kann dann gut und besonders schnell aus seinen Daten oder aus synthetischen Daten wie Simulationsdaten lernen, wenn es ein Seriensystem ist.
  • Wer weiterhin in der Immobilienbranche Unikate entwickeln möchte, benötigt viel Mut und viel Geld und wird es nicht schaffen, Kosteneffizienz mit Eigenschaften wie zum Beispiel der Klimaneutralität sicher zu kombinieren.

Ich hoffe, dass Ihnen dieser zweite Teil gefallen hat. Ich freue mich über Ihr Feedback. Im nächsten Teil der Serie geht es um den Begriff und die Methoden einer Plattform. Eine Plattform ist das Instrument, mit der man ein System in Serie schickt.

BOB Gründer Dr. Bernhard Frohn, Vorstand

Über den Autor Dr. Bernhard Frohn

Schon früh beschäftigte sich Dr. Bernhard Frohn mit dem Unternehmersein. Nach dem Studium des Maschinenbaus an der RWTH Aachen promovierte er im Bereich Photovoltaik und machte sich sofort selbständig. Als Energieeffizienzberater für Bestandsimmobilien und Neubauten verdiente er das erste Geld. Durch den Bau des eigenen Bürogebäudes, dem Balanced Office Building in Aachen, lernte er die Faszination für Architektur aber auch die Komplexität bei dem Bau eines Bürogebäudes kennen. Denn hier spielen nicht nur Themen wie Technik, Gebäudeorganisation oder gar Bauabläufe eine Rolle. Es sind vor allem die Themen des Unternehmertums und der Gestaltung neuer Arbeitswelten, die für Bernhard Frohn aus einem scheinbar simplen Büro eine echte Herausforderung in einer digitalisierten Welt machen. Daher schreibt er auf diesem Blog über ein breites Spektrum an Themen und hat viel Freude daran, neue zu entdecken.